Interview mit Fraktionsvorsitzenden Holger Grießhammer, SPD

Ich habe gelesen, Sie sind auf dem Hof Ihrer Eltern groß geworden, also im ländlichen Raum. Wie kommt man denn dazu, sich politisch zu engagieren und vor allem im CSU geprägten Raum sich bei der SPD zu engagieren?

Ganz einfach: Weil die SPD auch auf dem Land die richtigen politischen Antworten liefert. Ja, ich komme aus Schönlind bei Weißenstadt im Fichtelgebirge, das ist ein kleines Dorf mit 50 Einwohnern. Mein Großvater war dort Landwirt und meine Eltern hatten damals noch Kälbermast, aber dann wurde die Landwirtschaft eingestellt. Ich lebe nach wie vor dort und bin sehr glücklich. Ich bin politisch geprägt worden durch meine Familie. Und so hat sich das entwickelt, dass ich mich in der Kommunalpolitik eingebracht habe. Ich bin jetzt mein halbes Leben kommunalpolitisch aktiv. Als Ortssprecher im Stadtrat, 12 Jahre war ich zweiter Bürgermeister, seit 2009 bin ich Kreisrat. Ich war von 2018 bis 2023 Mitglied im oberfränkischen Bezirkstag, war dort auch Fraktionssprecher. Also, ich habe jede kommunalpolitische Stufe durchlaufen, bevor ich 2023 in den Landtag gewählt wurde. Seit Juli 2025, bin ich Fraktionsvorsitzender – eine Aufgabe, die mir große Freude macht.

Sehen Sie, angesichts der großen allgemeinen Probleme und Themen wie Finanzierungs- und Haushaltsfragen, der kritischen außenpolitischen Situation, die Gefahr, dass die Themen der Freien Berufe (wie z.B. die Aktualisierung der Gebührenordnungen der Heilberufe, der Erhalt des Fremdkapitalverbots, die Stärkung des Selbstverwaltungssystems) in Vergessenheit geraten? Was kann man aus Ihrer Sicht dagegen tun?

Ich bin jemand, der großes Verständnis für die Freien Berufe hat. Ganz klar, momentan stehen in der Politik die Finanzfragen im Raum, aber wir sprechen ja auch über Konjunkturpakete, über Investitionspakete in die Infrastruktur, und ich glaube, davon werden auch die Freien Berufe ganz stark profitieren. Als selbstständiger Malermeister kann ich ja gut einschätzen, welche Chancen hier erwachsen können.

Ich glaube, dass die Freien Berufe auch von der geplanten Transformation der Wirtschaft profitieren werden - wir als SPD haben hier ein offenes Ohr. Ich habe mich mit Ihrem Präsidenten Ende Januar in München getroffen, und wir haben über die Probleme der Freien Berufe diskutiert. Deshalb, von mir kriegen Sie ganz deutlich ein Ja zu den Freien Berufen und ich sage auch hier meine Unterstützung zu, wo es nur geht.

Die Freien Berufe sichern mit ihrer kleinteiligen Struktur die Daseinsvorsorge vor Ort. Der Arzt, der Apotheker, der Rechtsanwalt, der Architekt vor Ort, sind für die Bevölkerung auf dem Land essentiell, beleben das Dorfbild und sind für die Attraktivität des ländlichen Raums entscheidend. Zunehmend werden jedoch freiberufliche Aufgaben der Daseinsvorsorge durch gewerbliche Anbieter übernommen, wie steht Ihre Partei dazu?

Ja, wir sehen es im kommunalen Bereich oft, dass gewerbliche Anbieter immer mehr Raum einnehmen und dass sich hier etwas verselbständigt. Wir sehen auch, dass hierunter die Qualität leidet. Deshalb werden Sie von mir immer Unterstützung erhalten, wenn es um die Belange der Freien Berufe geht.

Stichwort: Bedrohung der freiberuflichen Organisationsstruktur der ambulanten Versorgung durch iMVZ:
Von Herrn Lauterbach waren ja bereits 2022 einige Beschränkungen versprochen worden. Wird die SPD sich dafür einsetzen, dass diese umgesetzt werden?

Vielleicht kurz zu den Apotheken, auch da stehe ich im Austausch. Ich hatte erst kürzlich den Bundesvorsitzenden der Apothekenkammer, Herrn Hubmann bei mir in der Landtagsfraktion zu einem Gespräch.

Wenn ich einen Apotheker vor Ort habe und halten will, dann muss man den Menschen sagen: Geht in eure Apotheke um die Ecke, hier habt ihr gute Beratung, hier steht ein Name dahinter, man kennt sich. Das kann eine Online-Apotheke nicht bieten. Auch da geht es wieder um die gleichbleibend gute Qualität, die der Apotheker bietet. Man sollte hier nicht auf jeden Cent schauen und stattdessen die Einrichtungen vor Ort unterstützen.

Das betrifft die Apotheken und auch die medizinische Versorgung insgesamt. Das gilt aber auch für andere Bereiche. Schauen wir uns den Bäcker, den Metzger vor Ort an: Wenn die Menschen da nicht mehr hingehen und nicht einkaufen, dann müssen diese schließen und wir haben immer mehr und immer größere Einkaufszentren.

Das kann man auch grundsätzlich sagen. Wenn die Menschen die Strukturen vor Ort nicht unterstützen, brechen diese weg.

Wir haben uns als SPD auch immer so positioniert. Aber niemand weiß im Moment, wer demnächst Gesundheitsminister wird. Wir als SPD werden dieses Ziel, die Freien Berufe zu unterstützen, weiter im Auge haben und auch weiter verfolgen.

Dann komme ich zu unserer nächsten Frage Kita-Platzmangel. Ich habe gelesen, Sie haben 5 Kinder, weshalb Sie die Probleme und Sorgen der Eltern bestens verstehen werden. In München ist es ja immer noch sehr schwierig, einen Krippenplatz oder Kindergartenplatz zu bekommen, man muss sich frühzeitig bewerben. Am besten schon in der Schwangerschaft. Wird die SPD bei dem Thema aktiv? Wie wollen Sie das angreifen?

Ja, als fünffacher Familienvater habe ich natürlich selbst erlebt, wie wichtig eine gute Kinderbetreuung ist, auch wenn es zu der Zeit, als unsere Kinder Betreuung gebraucht haben, noch einfacher war.

Ich sehe es aber auch aus kommunalpolitischer Sicht. Das Fichtelgebirge galt ja für viele Jahre als „Armenhaus“ in Bayern. Es ist eigentlich unvorstellbar, dass inzwischen eine Kita nicht mehr ausreicht. Wir hatten über viele Jahre Sorgen, ob wir diese Einrichtungen in dieser Form noch halten können, wenn wir immer weniger Nachwuchs haben in der Region.

Das hat sich in wenigen Jahren geändert. Plötzlich mussten wir die Betreuungsmöglichkeiten noch erweitern. Und wir mussten auch auf dem Land erkennen, dass die Betreuung einen anderen Raum einnimmt in der Gesellschaft. Heute haben wir eine Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage. Die Kommunen hängen immer noch hinterher. Stichwort auch hier: das Recht auf die Ganztagsbetreuung ab 2026. Immer wenn die Förderprogramme des Bundes ausgereizt waren, ging es nicht mehr vorwärts. Das heißt, das ganze Thema Betreuungsangebote hängt sehr stark an den Bundesmitteln. Hier müssen wir auch als Freistaat Bayern nachjustieren. Die reguläre Landesförderung ist für die Kommunen nicht ausreichend. Deshalb ist es wichtig, dass wir hier auch als Freistaat Bayern in die Betreuungsangebote investieren.

Und auch da hoffen wir natürlich, dass von Seiten des Bundes etwas kommt. Aber wir wollen den Freistaat Bayern nicht aus der Pflicht nehmen. Die Investition in die Kinderbetreuung ist enorm wichtig im Hinblick auf den Fachkräftemangel: Es gibt ein großes Arbeitskräfte-Potential bei den Frauen. Das heißt, wenn die Kinderbetreuung bei uns besser gesichert wird, stehen auch mehr Frauen dem Arbeitsmarkt wieder zur Verfügung. Und genau das ist der Ansatz, wofür wir uns als SPD einsetzen. Wir müssen auch die Finanzierung auf andere Beine stellen. Momentan deckt der Staat 60 bis 65% der Betriebskosten ab. Das reicht nicht. Wir als SPD wollen, dass der Staat bis zu 90% der Leistungen übernimmt, so dass auch die Kita-Gebühren bezahlbar bleiben.

Aber wir sehen aktuell, dass die Kinderbetreuung ein Stück weit zum Luxus wird, und das darf es nicht sein. Kinderbetreuung muss finanzierbar bleiben und da muss der Staat letztendlich mit ran. Wir wollen auch stärker in die Sprach-Kitas investieren. Wir haben große Sprachbarrieren bei den Kindern und wir wollen den Ausbau der Sprach-Kitas weiter forcieren und auch da hoffen wir jetzt auf gute Nachrichten aus Berlin.

Und wie sieht es mit einer Aufwertung des Erzieherberufes aus? Das ist ja auch so eine Frage. Es ist ja gerade in München so, dass man gar keine Erzieherinnen mehr findet und es soll ja auch nicht irgendwer sein, sondern es sollen ja qualifizierte Pädagogen sein, denen man sein Kind anvertraut. Dazu müssten die Leute auch besser bezahlt werden. Macht die SPD in dieser Richtung auch etwas?

Der Erzieherberuf ist enorm wichtig. Die Zeit in der Kita oder im Kindergarten ist prägend für die Kinder. Von Montag bis Freitag, eventuell den ganzen Tag, sind die Kinder in der Betreuung. Da braucht man qualifiziertes Personal. Am Ende ist es immer eine Finanzierungsfrage, um einen Beruf attraktiv zu machen und zu gestalten. Aber auch da stoßen Sie auf offene Ohren bei der SPD. Unser Ziel ist es, das Gehalt und die Anerkennung des Erzieherberufs zu verbessern.

Ich glaube, ganz wichtig ist auch, dass wir die Leitungsfunktionen noch mal anders ausstatten. Oftmals ist es so, dass die Einrichtungsleitung auch in der Gruppe ist und mit betreut. Ich glaube, auch da muss man die Leitungsfunktionen noch mal aufwerten und entlasten, so dass man sich hier voll und ganz auf die Leitung der Einrichtung konzentrieren kann.

Ab dem Jahr 2026 soll bereits der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule eingeführt werden. Aber wir haben jetzt schon Lehrermangel. Wie soll das denn funktionieren?

Eine Idee wäre, die Freien Berufe mit ins Boot holen. Am Nachmittag sollen die Kinder ja nicht nur unter Aufsicht sein, sondern es soll ja auch eine qualitative Betreuung stattfinden. Hier könnten Freie Berufe Angebote machen. Zum Beispiel könnten Künstler Kurse anbieten. Wäre das denkbar aus Ihrer Sicht?

Lassen Sie mich dazu eine kleine Geschichte über eine Privatschule mit evangelischem Träger hier in der Gegend, erzählen. Auch dort gibt es Lehrermangel.. Und jetzt hat sich ein Lehrer beworben, ein Biologe für Biologieunterricht, der momentan an der staatlichen Schule angestellt ist. Jetzt hat aber das Kultusministerium der Schule nicht erlaubt, diesen Mann anzustellen, weil er angeblich kein Lehrer ist. Das ist völlig verrückt. Er ist ja im staatlichen Schuldienst. Wir haben hier einen ausgebildeten Biologen, der an einer staatlichen Schule Biologie unterrichtet, dies aber an einer privaten Schule nicht darf, weil wir ihm die Qualifikation absprechen.

Ähnlich verhält sich das auch mit praktischen Fertigkeiten - ich hatte beispielsweise noch Hauswirtschaftsunterricht und Werkunterricht in der Schule. Und ich finde, dass genau diese Dinge in der Schule ein Stück weit verloren gehen - praktische Fertigkeiten, die man aber im Leben braucht.

Genau dafür könnte man Freiberufler einsetzen, die Spaß daran haben, mit den Kindern zu arbeiten. Ich glaube, nur so können wir in Zukunft den Personalmangel abfangen, der uns ohnehin noch viel beschäftigen wird. Wir müssen flexibler reagieren, starre Regelungen aufweichen und einfach mit offenen Augen durch die Welt gehen.

Als Handwerksmeister begrüße ich es, dass man Fächer wie Kunst und Fertigkeiten wie handwerkliches Geschick noch mehr unterbringt in den Schulen.

Ich war letzte Woche auf der Handwerksmesse und habe dort am Stand des Bayerischen Landtags mit vielen Besucherinnen und Besuchern gesprochen. Es waren sehr viele Schülergruppen da und man konnte bei einem Quiz mitmachen. Dabei ist mir aufgefallen, dass viele der Schüler ihre Postleitzahl nicht kannten und ihre Adresse nicht vollständig ausfüllen konnten. Das hat mir schon zu denken gegeben. Wir werden immer verkopfter und die einfachsten Dinge im Leben gehen verloren. Wir müssen wieder mehr praktische Dinge lernen, einfache Dinge, die wir fürs Leben brauchen und weniger abstrakte Wissenschaften.

Dann komm ich schon zur letzten Frage: Die Selbstständigen Frauen haben ja keinen Anspruch auf gesetzlichen Mutterschutz und dies führt bei den Freien Berufen auch immer mehr dazu, dass die Frauen vermehrt ins Angestelltenverhältnis gehen.

Das ist verständlich, führt aber zu Problemen wenn es z.B. um Praxisübernahmen geht.
Hat die SPD Pläne, wie man dem Problem begegnen kann?

Wir als SPD wollen, dass selbständig tätige Frauen denselben Mutterschutz bekommen wie Angestellte. Das ist Teil unseres Wahlprogrammes auf Bundesebene und deshalb wird es sicher auch jetzt bei den Koalitionsverhandlungen eine Rolle spielen.

Ich weiß natürlich, dass es als Selbständige, egal ob im Freien Beruf oder als Handwerkerin, immer schwieriger ist, keine Frage. Denn unabhängig von der Finanzierung ist es ohnehin nicht leicht, denn wenn der Anwalt, die Apothekerin, der Schreiner ausfällt, bleibt die Arbeit liegen.

Das ist eine ganz andere Situation als im Angestelltenverhältnis. Aber zumindest beim Mutterschutz könnte der Staat das auch rechtlich regeln.

Wir haben noch das Thema Bürokratisierung. Das Problem kennen ja die Freiberufler, die Handwerker und die Selbstständigen. Diese überbordende Bürokratisierung, die wir ja überall haben, dass sich da unbedingt was tun muss, damit jeder sich wieder auf seine Kernkompetenzen konzentrieren kann.

Ja, wir brauchen endlich eine Entbürokratisierung. Ich warne aber vor zu ambitionierten Hoffnungen, denn zunächst muss sich auch in der Gesellschaft etwas verändern. Jeder sichert sich ab, wenn irgendwo etwas schief geht, sofort wird nach dem Schuldigen gesucht.

Das ist auch ein gesellschaftliches Problem, dass die Menschen wieder mehr Verantwortung übernehmen müssen und wollen, das müssen wir uns einfach auch bewusst machen.

Und es liegt immer im Auge des Betrachters. Bürokratieabbau bei dir ja, bei mir nicht.

In Amerika etwa läuft das so: Wenn der Kaffeebecher zu heiß ist und man sich die Hände verbrennt, ist der Händler des Kaffees schuld und, nicht ich, der nicht aufgepasst hat. Das ist doch Unsinn.

Das nur als kleines Beispiel, allerdings schließt sich hier der Kreis wieder mit den praktischen Dingen in der Schule. Ich glaube, man muss wieder ein bisschen andere Schwerpunkte in Erziehung und Bildung legen, damit man eben nicht alles bis ins kleinste Detail regeln und festschreiben muss. Ich sehe das auch als Auftrag an unsere Gesellschaft, daran zu arbeiten.

Herr Grießhammer, vielen Dank für das offene und interessante Gespräch.


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